Dokumentation der Kinderstadt auf dem DEKT 2019
Auf dem 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund haben Ehrenamtliche des Kinderclub Dorfes in Seligenstadt um den Gemeindepädagogen Claus Ost, Landesjugendreferent Sven Engel und Andere eine Kinderstadt organisiert.
Inspiriert von Vorbildern wie Mini-München, FEZitty in Berlin und anderen lebt in Seligenstadt regelmäßig in den Osterferien ein Kinderclubdorf auf. Kinder nehmen in vorgegebenem Rahmen die Gestaltung von Angeboten für andere Kinder selbst in die Hand. Dabei werden sie von Teamer*innen unterstützt. So wird Gesellschaft im Kleinen inszeniert, spielend erlebt und in Versammlungen gemeinsam reflektiert – und vor allem erleben sich die Kinder als kompetent, selbstwirksam und selbstbestimmt „wie im richtigen Leben“ meist nur Erwachsene es sind.
Warum eine Kinderstadt auf dem Kirchentag?
Bei der Kinderstadt geht es vorrangig um das Erleben der Kinder selbst, sie sendet aber auch ein Signal an Erwachsene, Kindern mehr zuzutrauen und sie mehr zur beteiligen.
Neben dem reinen Spaß am Spiel werden Mut, Kreativität, Selbstvertrauen und Demokratiefähigkeit gefördert. Vor allem die Erfahrung, die Belange der Stadt selbst gestalten und (gemeinsam) bestimmen zu dürfen – als kompetent ernst genommen zu werden – hinterlässt eine tiefe Wirkung und wird von den Kindern immer wieder begeistert hervorgehoben.
Kinderstadt ermöglicht Kindern somit wichtige und positive (Selbst-)Erfahrung – und macht sie zugleich für Erwachsene sichtbarer: Die beteiligten Kinder erzählen z.B. zu Hause und unterwegs oft strahlend davon. Bei einem Kirchentag unter dem Motto „Was für ein Vertrauen“ eigentlich ein Muss!
Die große Aufmerksamkeit, die ein Kirchentag mit sich bringt, sollte auch dazu genutzt werden, die Bekanntheit von Kinderrechten und spielerich-partizipativen Formaten wie „Kinderstadt“ zu steigern.
Pädagogische Ziele sind unter anderen:
Besonderheiten durch die Rahmenbedingungen des DEKT
Auf den ersten Blick bietet sich der Kirchentag mit nur drei Tagen Veranstaltungsdauer und täglich wechselnden Besucher*innen nicht besonders für ein derartiges Konzept an: Es braucht Zeit, dass die Kinder über den vorgegebenen Rahmen hinaus aktiv werden – je länger also beispielsweise ein derartiges Ferienangebot dauert, desto mehr werden tatsächlich Kinder eigene Vorstellungen umsetzen. Auch werden Kinder, die wiederholt daran teilnehmen, die Sache selbstbewusster in die eigene Hand nehmen und mehr Ideen dazu haben. Dazu muss ein solches Angebot regelmäßig oder zumindest mehrfach an einem Ort stattfinden.
Für die Veranstalter*innen war es spannend, zu erproben, inwiefern ein solches Format auch unter diesen Bedingungen funktioniert und sich die Teilnehmer*innen auch in einem zeitlich kürzer begrenzten Rahmen und ohne Vorerfahrene aus dem letzten Jahr aktiv mitgestaltend in die Stadt einbringen. Außerdem fand ja so das Angebot ohne Voranmeldung statt, so dass bis zu Beginn unklar war, wie viele Teilnehmer*innen kommen würden. Ein Wagnis und eine neue Herausforderung an Flexibilität. Außerdem waren nicht alle Angebote von einem sich komplett vor Ort organisierenden Team erstellt/koordiniert worden, sondern das Kernteam aus Seligenstadt erarbeitete die Grundstrukturen und einen Großteil der Angebote, aber Andere, die ein in die Stadt passendes Angebot für den Kirchentag angemeldet hatten, wurden im Vorfeld angefragt, ob sie es sich in diesem Rahmen vorstellen konnten – diese Art der Kooperation war neu und wir waren sehr gespannt, welche Erfahrungen wir damit machen würden.
Zudem ergab sich die spannende Herausforderung, die bestmögliche Vermittlung zu finden zwischen dem Seligenstädter Konzept, das eigentlich von einer geschlossenen Gruppe im Vorfeld angemeldeter Teilnehmer*innen ausgeht, und dem Anspruch eines Kirchentages von möglichst großer Offenheit für spontane Besucher*innen. Und: zwischen dem Bedürfnis nach einem Raum, der möglichst frei ist von den Erwartungen Erwachsener und dem bisweilen kontraproduktiven Einfluss unterstützungswilliger Eltern einerseits und dem Wunsch des Initiators, die wunderbaren Erlebnisse und „Ergebnisse“ der kindlichen Aktivitäten dann mit möglichst viel Signalwirkung aber auch für Erwachsene sichtbar und am besten miterlebbar zu machen.
Was sieht eine Kinderstadt konkret aus – bzw. wie sah unsere aus?
Die vorgegebenen Grundstrukturen einer Spielstadt laden Kinder ein, von Teamer*innen unterstützt, selbst tätig zu werden um anderen Kindern Angebote zu machen. Im „Saft(f)laden“ bewirten die dort arbeitenden Kinder andere, die sich von den vorher verdienten (oder auch Start-)“Kröten“ dort Essen und Trinken kaufen können. Wer im „Sportzirkus“ arbeitet, gibt Spielgeräte an die Kund*innen aus und regt vielleicht auch beim Spielen an. Die Zeitung, die im „Medienbüro“ täglichen erstellt wird, berichtet aus der Kinderstadt und führt Umfragen durch. Dort können aber auch Nachrichten aus aller Welt oder Wissenswertes zu für Kinder interessanten Themen zu recherchiert und ebenfalls in der Stadt veröffentlicht werden, sowie Bekanntmachungen von anderen Kindern (also solchen, die gerade nicht im „Medienbüro“ arbeiten, aber als Kund*innen diesen Auftrag erteilen). In der Mitmachkirche „Oase“ stehen Kinder bereit, andere bei ihren spirituellen Wünschen zu unterstützen – oder laden von sich aus zum Singen, Schweigen, Diskutieren oder Beten ein...
Wo gerade ein Arbeitsplatz frei ist kann man bei der „Arbeitsvermittlung“ erfahren. So suchen sich also Kinder immer wieder eine Arbeit (was „wie im richtigen Leben“ sehr begehrt ist!) für eine Dreiviertelstunde, oder sie verbringen Freizeit: Entweder die Angebote nutzend, die durch die Arbeit der anderen Kinder entstanden sind, oder auch ganz frei spielend, essen, wie auch immer... Je nach Konzept vielleicht auch mal ganz spontan neue Unternehmen gründend – zu diesem Stadium ist unsere zeitlich sehr kurz vorhandene Stadt allerdings höchstens in Ansätzen vorgedrungen.
In der „Hochschule“ gab es unterschiedlichste Angebote: Gerlinde Krehn philosophierte mit den Teilnehmer*innen ihres Kurses, es gab Workshops mit Filmen zu Kinderrechten von Elke Deul aus Medienhaus der EKHN, oder ein musikalisches Angebot von Corinna Seger. Tom Kopolt, ein selbst dort engagierter Teamer, arbeitete in seinem Kurs mit den Kindern zu „Fridays for Future“, ...
Im „Rathaus“ arbeiten die Kinder selbst immer wieder an Vorschlägen für neue Regeln, über die dann in den Versammlungen abgestimmt werden kann. Von den eigenen Erfahrungen mit der Stadt und ihren Möglichkeiten können alle Kinder in diesen täglichen Versammlungen ebenfalls berichten.
Oder sie präsentieren dort Ergebnisse dessen, was sie getan haben. Z.B. wenn sie im Rahmen der „Hochschule“ an einem Tanz-Workshop teilgenommen haben.
Für die Sauberkeit und Ordnung in der Kinderstadt sorgten die Stadtwerke, bei denen Kinder mit Freude kehrten und aufräumten, was sie Zuhause so nicht getan hätten. Außerdem setzen sich die Stadtwerke für die Mülltrennung ein.
Grundsätzliche Anforderungen an das Team
Damit die oben genannten Ziele in möglichst großem Maße erreicht werden, braucht es von den pädagogischen Mitarbeiter*innen die Fähigkeit zur Zurückhaltung. Wenn auch zunächst ein Rahmen geschaffen worden ist und erklärt werden muss, sollen dann doch die Kinder innerhalb dessen möglichst wenig vorgeschlagene Handlungen umsetzen, sondern die Möglichkeiten auf eigene Weise nutzen. So haben bei uns beispielsweise am zweiten Tag auch bereits Kinder, die den ersten schon miterlebt hatten, die Einführung für die neuen Kinder selbst durchgeführt. Der Rahmen beinhaltet neben der Bereitstellung von Material, Konzept und Bürokratie eine Vorbereitung der Räumlichkeiten und die Minderung von Gefahren. Insbesondere auf grenzwahrenden Umgang auch der Kinder untereinander ist dann während der Durchführung zu achten.
Welche Erfahrungen haben wir gemacht, und welche (noch) nicht?
Zunächst beantwortetet sich die Frage nach der Resonanz mit einer langen Schlange gleich am Eröffnungstag positiv: Alle Plätze waren besetzt – und glücklicherweise mussten wir nicht allzu viele weitere Interessent*innen fortschicken. Die Größenordnung hat also ziemlich genau gepasst.
Es stellte sich heraus, dass das Konzept auch unter den Bedingungen des Kirchentags bestens funktionierte! Kinder können eben in der entsprechenden Atmosphäre sehr schnell und direkt Beziehung aufbauen, ins gemeinsame Tun kommen, präsent sein. (Vielleicht spielte für das Gelingen auch eine Rolle, dass Kinder, die einen Kirchentag besuchen, in der Regel überdurchschnittlich viele Möglichkeiten erhalten, Kontexte partizipativ mitzugestalten und sozial sehr kompetent sind – aber das wäre erst noch zu untersuchen.) In Einzelfällen haben wir erlebt, dass ein Kind an einem Arbeitsplatz dominant und auch unfreundlich das Kommando übernahm. Daraus können sich dann Aufgaben für Teamer*innen ergeben: Konflikte oder Grenzverletzungen benennen und so zu deren Wahrnehmung verhelfen, klärende Gespräche, nötigenfalls moderieren, etc.
Mit der Einbeziehung externer Teams, die einen „Laden“, „Hochschulworkshop“ o.Ä. eingebracht haben, waren die Erfahrungen etwas unterschiedlich. Wo die Mitarbeitenden schon im Vorfeld bei den Besprechungen anwesend waren, sind sie komplett zu einem Teil des Teams geworden. So auch einige zusätzliche Teamer*innen ohne eigenes Angebot, die als „Springer*innen“ flexibel eingesetzt werden konnten, wo sie gerade gebraucht wurden. Andere gestalteten mehr oder weniger für sich eben innerhalb des Rahmens ein Angebot mit den Kindern – und die Idee, möglichst wenig Anleitung durch Erwachsene wurde unterschiedlich konsequent umgesetzt. Es kommt sicher darauf an Erwartungen und den konzeptionellen Rahmen im Vorfeld klar miteinander abgestimmt zu haben. In Summe war die Kooperation sehr bereichernd und gelungen.
Bezüglich des Interesses, weitere Kinder und auch Erwachsene an dem „Experiment“ ebenfalls teilhaben zu lassen, waren verschiedenste Varianten diskutiert worden (einzelne Läden oder Marktplätze der Kinderstadt nach außen hin zu öffnen und Produkte an alle Vorübergehend anzubieten, Vorführungen außerhalb der Kinderstadt, Kurse in der „Hochschule“ für externe Besucher*innen öffnen, etc.). Schon allein, weil das Team schließlich doch eher knapp besetzt war und auch der Zeitdruck hoch, habe wir letztlich dann vor allem eine Möglichkeit für Außenstehende realisiert, die Stadt zu entdecken: Teilnehmer*innen haben Führungen durch die Stadt angeboten, für die Interessierte sich am Informationspunkt am Eingang zur Stadt anmelden konnten. Bei diesen war den Fremdenführer*innen aus der Kinderstadt und den Besucher*innen meist große Begeisterung anzumerken – und den Kindern eine beachtliche Portion Stolz auf ihre Stadt.
Und weiter?
Die Veranstalterinnen wollen gern weiterhin an und mit diesem Format arbeiten und experimentieren, insbesondere beim Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt.
Wir freuen uns außerdem, wenn anderswo noch mehr derartige Projekte entstehen – und stehen gern mit Rat und Anschauungsmaterial (einige unserer Informationstexte für Beteiligte können hier heruntergeladen werden, weitere Vorlagen für Checklisten und die stadtinterne Bürokratie gern auf Anfrage) zur Verfügung. Ladet uns gern ein, wenn Ihr überlegt ob und wie bei Euch eine Kinderstadt oder Ähnliches aufgebaut werden könnte!
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